Meckern ist einfach, loben hingegen schwer. Ich weiß das und gleichzeitig hoffe ich sehr, dass dieser Blog nicht als Ventil für missverstandene GenY-Trolle empfunden werden könnte, die frustriert, überlastet und/oder arbeitslos in die Tasten hacken, weil das Nachmittags-TV Programm seit Ende von „Britt – Der Talk um Eins“ und der „Abschlussklasse“ (das Original, nicht die „krasse“ Neuauflage) dramatisch an Unterhaltungspotential verloren hat.

Natürlich hat diese Seite den Anspruch, jene Aspekte der New Work kritisch zu beleuchten, die doch nach außen hin so wundervoll glänzen und den Arbeitgebern eifrige, grenzenlos leidenschaftliche Arbeitskräfte liefern, den Betroffenen selbst aber über Generationen hart erkämpfte Rechte rauben und Pflichten mit sich führen können, zu denen die Bezahlung oft in geringem Verhältnis steht.

Doch es gibt sie ganz bestimmt, die positiven Seiten der Arbeit 4.0 und um diesem Blog einen Ruf als neutrale Beurteilungsinstanz erarbeiten zu können, sollen diese selbstverständlich berücksichtigt werden. Zu diesen Vorteilen des neuen Arbeitslebens gehört mit Sicherheit die oft gerühmte räumliche und zeitliche Flexibilität im Berufs- und Privatleben, die einerseits große Opferbereitschaft erfordern kann, andererseits jedoch auch die Welt so viel offener, freier und zugänglicher für uns gemacht hat. Angesichts der aktuellen Ausgangs-, Kontakt- und Reisebeschränkungen aufgrund der Corona-Krise soll sich dieser Beitrag auf die örtliche Flexibilität fokussieren und darf gerne als kleine, wehmütige und sehnsuchtsvolle Ode an die Freizügigkeit verstanden werden (und nein, hier geht es nicht ums Nacktsein), die von uns Arbeitnehmern und Freiberuflern, oder allgemein jeder freien Seele unserer Zeit, wie selbstverständlich als zentrales Merkmal der modernen (Arbeits-)Welt hingenommen wurde, und zu der wir hoffentlich irgendwann in irgendeiner Form zurückkehren können.

In meinem Leben bin ich schon viele Male umgezogen. Nicht nur, weil bezahlbarer Wohnraum in Großstädten schwer zu finden ist (ein Stoff für zahlreiche anderweitige Erörterungen), sondern vor allem aufgrund der Vielzahl an Möglichkeiten, die sich im Laufe meines Bildungs- und Berufslebens geboten haben. Ich konnte das englische, in der Schule liebevoll gelispelte „th“ auf globaler Bühne und mit internationalen Kontakten üben und ihm den kernigen Charme meiner deutschen Aussprache rauben.  Ich durfte in neuen Städten neue Leben aufbauen, die sich zu Beginn stets magisch und so ganz anders angefühlt haben, und dann weiterziehen, wenn der Zauber des Anfangs irgendwann in drögen Alltag überzugehen drohte. Ich habe bzw. hatte das große Glück Stammkunde der Deutschen Bahn sein und regelmäßig durch die Republik tingeln zu können, um meine Familie und Freunde zu besuchen, die sich über die Jahre ebenfalls flexibel über das Land verteilt haben. Wenn mir die lokale Decke auf den Kopf fiel, konnte ich stets mein Beutelchen schultern und in die große Welt hinausziehen, wie das Hänschen klein meiner Kindheit, nur auf Dauer für mein Bankkonto und meinen Terminkalender deutlich herausfordernder.

Aber die zeitliche und finanzielle Belastung ist zweitrangig gegenüber den Möglichkeiten, die ich bekommen habe, andere Städte und Länder sehen zu können in Begleitung lieb gewonnener Menschen, die man dank moderner Technik nicht mehr regelmäßig durch epischen Briefverkehr updaten muss, sondern mittels amerikanischer – und selbstverständlich verschlüsselter – Kommunikationsplattformen  in Echtzeit am Leben teilhaben lässt (jetzt natürlich noch mehr als je zuvor!). Und nichts kann mir das Gefühl der Freiheit und Erleichterung ersetzen, das ich verspüre, wenn ich nach einem anstrengenden Tag daran denke, dass ich nicht auf diese eine Tätigkeit, auf diese spezielle Stadt, oder gar nur dieses eine Land auf Dauer angewiesen bin. Ich bin ein moderner Söldner, der sich flexibel in den Dienst desjenigen Dienstherren begeben kann, der die besten Benefits und kununu-Bewertungen zu bieten hat, und ich darf nomadengleich den Sirenengesängen internationaler Entsendungen, Versetzungen oder Rotationsprogramme folgen. Ich muss letztlich nur der englischen Sprache mächtig sein und nicht zu viele Gedanken und Sorgen in fremdländische Sozialversicherungs- und Rentensysteme investieren, und schon bin ich frei, dorthin zu gehen, wo mich der Wind der (inter-)nationalen Stellenanzeigen und Personalberater, internen Referrals (zu Deutsch: Mitarbeiterempfehlungen) und sonstiger Recruiting-Kanäle hin trägt.

Nein, ich lasse sie mir nicht mehr nehmen, die Flexibilität, dort zu leben, wo ich gerade möchte und zu arbeiten, wo es mir beliebt – als Angestellter, Freiberufler oder Student, der sich nicht mehr auf nur einen Arbeit- oder Auftragsgeber, auf lediglich einen Wohnort oder einen einzigen Studiengang festlegen muss. Meine Generation, ob X, Y oder Z, lässt sich heute nicht mehr durch Grenzen aufhalten und mit einer Arbeitswelt unter der Version 4.0 abfinden. Auch wenn unsere (inter-)nationale Freizügigkeit in der aktuellen Krise natürlich eingeschränkt ist und unsere gesellschaftlichen Prioritäten anders gesetzt werden müssen, so mag sich das zukünftige Arbeiten verändern und noch stärker digitalisieren, aber der Wunsch nach Freiheit und Wahlmöglichkeiten wird bestehen bleiben, so wurden wir sozialisiert. Die neue Arbeitswelt kann, dynamisch und agil wie sie ist, die Adaption an eine neue Realität schaffen und neue Konzepte der Flexibilität entwickeln, und vielleicht müssen wir nach Corona ein Update auf die Arbeit 4.1 durchführen. Doch ein Schritt in die Vergangenheit, der Verzicht auf Flexibilität erscheint mir unrealistisch – aber vielleicht bin ich diesbezüglich in meinem Denken auch zu unflexibel.

Was auch passiert, es soll davon berichtet werden – daher freue ich mich über eure Meinungen zum Thema Flexibilität, eure Erfahrungen mit der New Work, oder natürlich Ideen und Vorschläge für zukünftige Trends und Entwicklungen!

Disclaimer: Der oben stehende Text könnte allein auf meinen eigenen Erfahrungen beruhen, muss dies aber nicht. Jeder Beitrag, der hier veröffentlicht wird, erscheint in der „Ich“-Form und entstammt meiner Tastatur, aber basiert nicht zwangsläufig auf meinen Erlebnissen oder Ansichten. Ausnahmen in Form und Stil sollen nur explizit ausgewiesene Gastbeiträge bilden. Um die Anonymität der Beitragsleistenden sicherzustellen, wird die Quelle, sofern nicht anders gewünscht und entsprechend markiert, ausnahmslos nicht benannt. Es ist damit der Fantasie des Lesers überlassen, einen Artikel als Eigen- oder Fremdbeitrag zu verstehen.