New Work und „New Normal“, das sind die Zeiten, in denen wir leben und Begriffe, die meine berufliche und private Existenz für Jahre, vielleicht Jahrzehnte prägen werden. Die New Work existiert natürlich schon weitaus länger als die Zeiten des „New Normals“, und stellt die Arbeitswelt dar, in die ich nach meinem Studium hoffnungsvoll startete. In ihr kenne ich mich aus und ich weiß, was ich von ihr zu erwarten habe – und welche Aspekte ich für mich akzeptieren oder rigoros ausschließen kann. Ich bin ein New Work-Experte der Generation Y und das gibt mir Orientierung und Sicherheit in einer Welt, die sich stetig weiterbewegt.

Bis sie eines Tages zum Stehen kommt, stolpernd und ratternd, quietschend wie ein ICE, der auf offener Strecke von über 200 km/h abrupt zum Sillstand gebracht wird. Und wie in einem ICE, der plötzlich nicht mehr weiterfährt, schwant jedem Unheil, der nervös auf die unheilbringende Ansage des Schaffners wartet, die in der Regel in einer langen Wartezeit ohne Ausweg, einer horrenden Verspätung, verpassten Anschlusszügen, aufgezehrten Nerven und in bedauernswerten Fällen keinerlei Entschädigung endet: „Leider handelt es sich um höhere Gewalt, da hat Ihr Geldbeutel nun mal Pech gehabt – Wir bitten, die entstandenen Unannehmlichkeiten zu entschuldigen und hoffen, Sie bald wieder an Bord der Deutschen Bahn begrüßen zu dürfen!“ Dieser ICE ist unsere Welt im Jahre 2020, unser „New Normal“, das ähnlich vorhersehbar, verlässlich und erquicklich ist wie eine Fahrt mit der Deutschen Bahn. Oft ohne Entschädigung, dafür jedoch mit mangelndem Verständnis für den entstandenen Schaden. Eine „neue Normalität“, die nun mit unserer New Work verschmelzt – zu einer „New Normal Work“ oder „Normal New Work“? Nichts davon klingt für mich richtig.

Der Siegeszug des Homeoffices in Zeiten der Pandemie

Diese „Normal“ New Work findet zu einem Großteil im Homeoffice statt, das vielen Arbeitnehmern bereits aus fast vergessenen Zeiten vor Covid-19 bekannt ist und das mal strikteren, mal großzügigeren Regeln unterworfen war. Für viele arbeitende Menschen, die in der jetzigen Lage nahezu unbegrenzt im Homeoffice arbeiten dürfen, gar sollen, bieten sich neue Möglichkeiten zur Kombinierbarkeit von Familie und Beruf, selbst wenn diese durch Kita- und Schulschließungen teils unter brutalen Umständen aufgezwungen wird. Für mich bietet es vor allem die Gelegenheit, ausschlafen und dennoch früh in den Arbeitstag starten zu können – eine Wunschvorstellung, die für mich heute zum Alltag geworden ist, zum „New Normal“, nehme ich an.

Natürlich lauern auch Gefahren in der ständigen Heimarbeit: von der Entgrenzung der Arbeit aufgrund des dauerhaft verfügbaren Heimarbeitsplatzes über die soziale Isolation in den heimischen vier Wänden, die auch durch gut gemeinte Zoom-Sessions zum gemeinsamen Wein nach Feierabend oder Freitagskaffee im Team nicht gänzlich vermieden werden kann bis hin zur völligen emotionalen Entkoppelung vom Arbeitgeber. Und doch bietet das Homeoffice gemeinsam mit der Zwangsdigitalisierung der Arbeitskommunikation einen nicht gekannten Grad an Selbstständigkeit und Flexibilität in der modernen Arbeitswelt – wir sind nun alle diese Hipster, die mit ihren MacBooks im Café sitzen und von überall arbeiten, nur keinem traditionellen Bürokomplex oder gar dem Open Space. Bildlich gesprochen, denn wir arbeiten selbstverständlich nicht im Café um die Ecke, weil die Welt es gerade nicht zulässt und weil die heimischen vier Wände der Ort sind, an dem wir nun mal am besten dem Social Distancing nachkommen können.

New Work und Social Distancing – passt das überhaupt zusammen?

Und dennoch fordert diese neue Arbeits- und Lebenswelt ihren Tribut. Das kann ich zumindest von mir sagen, denn ich merke, dass die vergangenen Monate, und noch intensiver die letzten Wochen, an mir zehren und sich mit jedem Tag mehr eine Resignation in meiner Seele ausbreitet, die die Hilflosigkeit, die Frustration mit der aktuellen Situation und die Angst vor der Zukunft, von der niemand sagen möchte, wie sie aussehen kann, zu betäuben versucht. Ich vermisse die alte New Work, die sich aus meiner Sicht zwar in einigen Aspekten mangelhaft und ungünstig für den einzelnen Arbeitnehmer gestaltet und viele Vorgaben und Pflichten des Arbeitsschutzes und Arbeitszeitgesetzes leichtherzig übergeht – und die diese Mängel aber durch eine starke emotionale und soziale Bindung an das Team und den Arbeitgeber auszugleichen versucht. Durch kostenloses Bier im Kühlschrank an einem späten Freitagnachmittag, an dem viele Arbeitnehmer der Tarif- und Zeiterfassungswelt bereits lange im Wochenende weilen, durch Grillpartys nach Feierabend, feuchtfröhliche und skandalträchtige Weihnachtsfeiern, regelmäßige All-Hands oder Townhall Meetings, Kickerturniere und durch legendäre Teamevents, nach denen man am nächsten Tag verspätet, verkatert und voller Reue ins Büro kriecht. Was waren das doch für wilde, schlaflose, durchzechte Zeiten des puren und ungefilterten New Work Lebens. Und was für ein Kontrast zu heute, dem Jahr 2020, in dem ich kaum einen meiner Kollegen im neuen Job jemals von Angesicht zu Angesicht getroffen habe, und dies auf absehbare Zeit auch nicht werde.

Jetzt gibt es nur noch meinen Schreibtisch, den Laptop und mich, die eigene lasche Kaffeemaschine, die öden und immergleichen vier Wände, das Butterbrot oder die Tütennudeln aus dem heimischen Bestand und den motivierenden Platzwechsel nach Feierabend auf die Couch zwei Meter hinter mir. Und verdammt, ja, auch das Klopapier wird irgendwann knapp, wenn man tagein, tagaus zuhause hockt.

Und nun sitze ich hier, starre aus meinem Fenster mit dem immergleichen Blick vor Augen, schwelge in Erinnerungen an zu viel Arbeit, Bier und Schlafmangel und träume von einer Rückkehr zur Arbeit 4.0 gefüllt mit spontanen Biergartenbesuchen, Teamevents und Freitagnachmittags-Kaffeerunden. Das alles erscheint mir so weit weg, in ferner Vergangenheit und ungewiss für die Zukunft.

Nostalgie und New Work, wer hätte das vor einem Jahr für möglich gehalten?  

Disclaimer: Der oben stehende Text könnte allein auf meinen eigenen Erfahrungen beruhen, muss dies aber nicht. Jeder Beitrag, der hier veröffentlicht wird, erscheint in der „Ich“-Form und entstammt meiner Tastatur, aber basiert nicht zwangsläufig auf meinen Erlebnissen oder Ansichten. Ausnahmen in Form und Stil sollen nur explizit ausgewiesene Gastbeiträge bilden. Um die Anonymität der Beitragsleistenden sicherzustellen, wird die Quelle, sofern nicht anders gewünscht und entsprechend markiert, ausnahmslos nicht benannt. Es ist damit der Fantasie des Lesers überlassen, einen Artikel als Eigen- oder Fremdbeitrag zu verstehen.