Am Anfang und am Ende steht das Vertrauen. Nahezu jede der aktuellen Diskussionen zur Gestaltung von Arbeit und den großen Lehren der Corona-Krise dreht sich um Themen, die maßgeblich durch Vertrauen beeinflusst werden. Dabei besonders intensiv diskutiert und mit dem schicken New Work-Label versehen: die Arbeit im Homeoffice, gar ein gesetzliches Anrecht darauf, sowie die flexible Gestaltung von Arbeitszeiten für eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf, für eine gesunde Work-Life-Balance. Interessant ist dabei, dass in den wenigsten Diskussionen hervorgehoben wird, welch zentrale Rolle das gegenseitige Vertrauen spielt, wie wichtig es ist, dass sich Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite grundsätzlich positive Intentionen für die Arbeitsgestaltung unterstellen. Und wie oft diese vertrauensvolle Grundlage eigentlich fehlt.

Mit Magengrummeln ins Homeoffice

In all meinen früheren Jobs wurde grundsätzlich die Möglichkeit von Homeoffice gewährt. Entweder wurde dies bereits im Bewerbungs- oder spätestens Angebotsprozess explizit als Benefit erwähnt, oder aber auf Nachfrage hin ganz selbstverständlich eingeräumt – wir handhaben das agil, flexibel, und richtige Vorgaben haben wir hier nicht (denn Vorgaben stammen oft aus der Mottenkiste). Und schon entstehen die ersten Fragen:

  • Wie viel Homeoffice darf ich als Arbeitnehmer beanspruchen, ohne als Faulenzer wahrgenommen zu werden, der zuhause auf der Couch ab und zu die Maus bewegt, damit der Status im Kommunikationstool auf „grün“/“aktiv“ bleibt, aber ansonsten in genussvoller Unproduktivität dem Nichtstun frönt?
  • Oder auch: Wie lange muss ich eigentlich erreichbar sein, wann noch E-Mails beantworten, damit auch jeder weiß, dass ich doch wirklich ganz fleißig arbeite?
  • Und natürlich: Wird es mir am Ende vielleicht doch negativ ausgelegt und die Karriere anderer Mitarbeiter stärker gefördert, die weniger im Homeoffice arbeiten und/oder die immer noch spät nachts eine Mail rausschicken (selbstverständlich mit Priorität: Hoch!)?

Ohne klar kommunizierte Erwartungen kann es schwer sein, diese Fragen zufriedenstellend zu beantworten, so habe ich es selbst erfahren und oft auch ähnlich berichtet bekommen. Ohne Kriterien, ohne klare Zugeständnisse fehlt die Sicherheit mit ruhigem Gewissen, gar Freude, am heimischen Schreibtisch arbeiten zu dürfen; ohne Magengrummeln den Homeoffice-Tag zu beantragen; und ohne akribisch zu prüfen, dass die letzte Homeoffice-Anfrage auch angemessen lange zurück liegt. Wer kennt sie denn nicht, die Situation (vor der Corona-Krise), in der man bei der Führungskraft einen Homeoffice-Tag beantragt, und dann – obwohl die Arbeit von zuhause ja grundsätzlich möglich sein soll – einen triftigen Grund vorbringt („konzentriert an wichtigen Folien arbeiten“, „wichtiger Arztbesuch“, „der Handwerker / Schornsteinfeger / Rauchmelde-Ableser kommt vorbei“, „bin ein bisschen angeschlagen“)? Damit auch niemand auf die Idee kommen könnte, dass man ein solch kostbares Privileg bloß leichtfertig nutzen, gar ausnutzen könnte.

Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser!

Vielleicht sind diese Bedenken unnötig, vielleicht bildet man sie sich bloß ein, vielleicht ist nur einfach das eigene Selbstbewusstsein zu klein, aber die Welt ansonsten in Ordnung. Doch andererseits gibt es ausreichend Gründe und Erlebnisse, die solche Sorgen befeuern: ein Kontroll-Anruf durch die Führungskraft hier, ein dezenter Hinweis auf die „Abwesenheit“ in Skype oder MS Teams dort. Oder gar die deutliche Anweisung von ganz oben, dass Montage und Freitage im Homeoffice möglichst vermieden werden sollen, da „Freizeitoptimierung“ zu befürchten sei. Und zu guter Letzt auch das Durchführen von Analysen und Reportings zu der Frage, wie sich die Heimarbeits-Tage unternehmensweit über die Woche verteilen. Viele Arbeitnehmer kennen diese Ambivalenz und müssen sich in diesem Spannungsfeld von „Wir sind doch so flexibel!“-Parolen und gleichzeitiger versteckter Kontrolle bewegen, ganz nach dem Motto: „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser.“

Unternehmensalter = Homeoffice-Kultur?

Natürlich trifft diese Ambivalenz nicht pauschal auf jeden Arbeitgeber zu, und ich möchte auch nicht so weit gehen zu behaupten, dass jüngere Unternehmen und Start-ups tendenziell mit vertrauensbasierten Themen wie dem Homeoffice offener und besser umgehen als alteingesessene Industrieriesen. Es zeigt sich ein gemischtes Bild an allen Fronten und oft scheint der Umgang vielmehr durch die Überzeugungen der jeweiligen Führungskraft geprägt zu sein als zwangsläufig durch eine mehr oder weniger junge oder alte Unternehmenskultur.

So kenne ich beispielsweise Fälle aus einem – natürlich durch und durch agilen – Start-up, in dem pauschal alle Mitarbeiter einer gesamten Abteilung durchgängig im Büro anwesend sein mussten, weil immerhin ein Viertel des Bereichs regelmäßig im persönlichen Austausch mit anderen Mitarbeitern stehen sollten. Da kann man schließlich den anderen, immerhin Dreiviertel an Kollegen, die vor allem in Ruhe und höchster Konzentration an Zahlen, Dateien und in Systemen – und ohne Menschenkontakt – arbeiten müssen, doch nicht ein Recht auf Homeoffice einräumen und Unfairness herstellen. Ob die betroffenen und ans Büro gefesselten Kollegen sich nicht vielleicht sogar darüber gefreut hätten, wenn durch erlaubte Heimarbeit das Großraumbüro nicht immer vollkommen über alle Kapazitätsgrenzen hinaus besetzt gewesen wäre – hinfällig, denn „Ober sticht Unter“ und Cheffe hat gesprochen. Gleichermaßen gab es Abteilungen in eben jenem Start-up, in denen Homeoffice eine Selbstverständlichkeit war, über die auch nicht weiter diskutiert werden musste, weil es einfach funktioniert hat.

Doch nicht nur Start-up Mitarbeiter berichten von derlei Unterschieden: auch Mitarbeiter aus soliden Mittelständlern und tradierten Großkonzernen sammeln je nach Führungskraft und Management-Riege vollkommen unterschiedliche Erfahrungen mit der Heimarbeit: Da gab es beispielsweise in einem mittelständischen Unternehmen der Automobilindustrie die total agile Softwareentwicklungsabteilung, in der schließlich, je näher das Release rückte und je unrealistischer die Zielerreichung wurde, die Führungskraft bei allen Mitarbeitern persönlich angerufen und sich rückwirkend die Gründe für die erfolgten Homeoffice-Tage des letzten Quartals sowie das jeweilige Arbeitspensum des Tages hat rechtfertigen erklären lassen. Und in einem traditionellen Industriekonzern war wiederum zu beobachten, dass eine sehr mitarbeiterzentrierte Abteilung teils tagelang vollständig im Homeoffice tätig war, da die Mitarbeiter zuhause viel konzentrierter arbeiten konnten als im Bürobetrieb mit ständigem Publikumsverkehr – und dennoch ihre Arbeit samt persönlichem Kontakt digital erfolgreich bewältigen konnten.

Führungskraft vor Recht?

Ohne grundsätzliches, ehrliches Vertrauen mag es durchaus noch zu früh sein, über ein Recht auf Homeoffice zu diskutieren, das dann letztlich in der genauen Ausgestaltung den Unternehmen – und so wiederum dem persönlichen Gusto einer Führungskraft – überlassen sein dürfte. Denn selbst bei bestehendem gesetzlichen Anspruch wird es einer Führungskraft, die „Homeoffice einfach nicht mag“ möglich sein, der Belegschaft die Heimarbeit durch entsprechende Kontrollmechanismen, Beantragungshürden und eindeutige verbale und non-verbale Signale madig zu machen. Natürlich wird jeder Entscheider in einem Unternehmen, ob Vorstand oder Teamleitung, bestimmte Gründe für den individuellen Umgang mit Homeoffice haben. Und es geschieht leider auch viel zu oft, dass manch ein Arbeitnehmer den Anspruch auf Heimarbeit missbraucht – Geschichten, die noch an anderer Stelle auf diesem Blog erörtert werden sollen. Dennoch erzeugt die ungleiche Behandlung nicht nur zwischen, sondern auch innerhalb von Unternehmen, Abteilungen, gar Teams nichts anderes als Unsicherheit, verschenkte Chancen und letztlich auch eine mögliche Zunahme der Arbeitszeiten und einer Entgrenzung der Arbeit.

Formelle Leitlinien gegen feudale Willkür

Daher sollte jedes Unternehmen zuallererst für sich selbst bestimmen, inwiefern Homeoffice in der Umsetzung wirklich und konsequent möglich ist (denn es wird legitimerweise nicht für alle Berufe möglich sein – nicht umsonst wird auch in der Corona-Krise nur von 25% der deutschen Arbeitnehmer die Heimarbeit genutzt) und eindeutige interne Richtlinien vorgeben und kommunizieren. Dies muss nicht zwangsläufig in Form einer tradierten und rigiden Betriebsvereinbarung passieren, auch Leitfäden im Intranet oder Zusätze im Arbeitsvertrag könnten ausreichen. Und wenn diese Leitlinien zum Homeoffice festgelegt sind, und damit beispielsweise auch ein fester Prozentsatz, zu dem Homeoffice grundsätzlich gestattet ist, sowie alle Bereiche und Mitarbeiterkreise, für die diese Regelung gültig ist, sollte es auf der Ebene einzelner Bereichs-, Abteilungs- oder Teamleiter keine akzeptierten Abweichungen (nach unten) von dieser Richtlinie mehr geben. Im wortwörtlichen Zweifelsfall, d.h. sofern berechtigtes Misstrauen gegenüber dem Verhalten eines Einzelnen existiert, sollte dies schnellstmöglich individuell und offen aufgeklärt werden, ohne Konsequenzen für die unmittelbare Kollegenschaft. Davon abgesehen sollte jedoch jeder, für den Heimarbeit erlaubt ist, diese auch im vollen Rahmen ohne Wenn und Aber nutzen dürfen. Und wenn Analysen dieses Nutzungsverhaltens wichtig erscheinen, sollte am Ende nicht der einzelne Mitarbeiter sein Verhalten rechtfertigen müssen, sondern vielmehr die zuständige Führungskraft, sofern der erlaubte Homeoffice-Rahmen nicht ausreichend genutzt wird.

Letztlich werden nicht nur die Mitarbeiter von klar definierten und konsequent umgesetzten Leitlinien profitieren, sondern auch die Führungskräfte selbst könnten durch einen eindeutigen Rahmen im Umgang mit dem Homeoffice an Sicherheit gewinnen. Die Zeit, die sie ansonsten für lästige Einzelfallentscheidungen oder gar Kontrollversuche nutzen würden, könnten sie stattdessen in klare Zielvorgaben, Arbeitspakete und Kommunikation investieren, die ihre Mitarbeiter wiederum bei der Aufgabenerfüllung unterstützen. Und sie können selbst konzentriert an ihren eigenen Themen arbeiten – und das selbstverständlich auch gerne aus dem Homeoffice heraus.

Disclaimer: Der oben stehende Text könnte allein auf meinen eigenen Erfahrungen beruhen, muss dies aber nicht. Jeder Beitrag, der hier veröffentlicht wird, erscheint in der „Ich“-Form und entstammt meiner Tastatur, aber basiert nicht zwangsläufig auf meinen Erlebnissen oder Ansichten. Ausnahmen in Form und Stil sollen nur explizit ausgewiesene Gastbeiträge bilden. Um die Anonymität der Beitragsleistenden sicherzustellen, wird die Quelle, sofern nicht anders gewünscht und entsprechend markiert, ausnahmslos nicht benannt. Es ist damit der Fantasie des Lesers überlassen, einen Artikel als Eigen- oder Fremdbeitrag zu verstehen.