Ein anonymer Gastbeitrag
„Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne…“, so wunderbar simpel können Hermann Hesses berühmte und oft zitierte Worte die Aufregung, Begeisterung und Magie eines Neuanfanges einfangen und beschreiben. Auch einem beruflichen Wechsel und Neustart kann ein Zauber innewohnen – der Schritt ins Unbekannte, eine Herausforderung, neue Kollegen, eine völlig neue Kultur und vielleicht ganz neue Möglichkeiten für die eigene Karriere. Doch wo einerseits großes Potential für die Motivation, das Engagement, frische Ideen und die Mitarbeiterbindung schlummert, verbergen sich andererseits zahlreiche Möglichkeiten für Frustration, Demotivation und eine von Beginn an geschädigte Arbeitsbeziehung zwischen Unternehmen und Mitarbeiter. Und so wird das berühmte Onboarding für viele Arbeitnehmer weniger zum perfekten Start in einen neuen Job als vielmehr zur idealen Motivation sich dem Zauber eines weiteren Neuanfanges hinzugeben und das Heil in der Flucht zu suchen. Im folgenden Gastbeitrag erzählt ein anonymer Autor von seiner Employee Experience im Onboarding seines neuen Jobs – und warum er jetzt schon wieder auf Jobsuche ist.
Ein Wink des Schicksals?
Meine Entscheidung den Arbeitgeber zu wechseln ist nicht aus der Not heraus entstanden. Mit meinem Chef lief alles bestens, mit den Kollegen sowieso und Spaß an meinen Aufgaben hatte ich auch. Auf den ersten Blick also keinerlei Grund zur Beschwerde. Trotzdem, irgendwo ganz tief im Unterbewussten, ist mit der Zeit das Gefühl, dass irgendetwas fehlt, immer stärker geworden. Der Wunsch wirklich etwas zu bewegen. Die Gewissheit, am exakt richtigen Ort zu sein und dort etwas zu vollbringen, was niemand sonst schaffen könnte. Kurz, für den Arbeitgeber und alle Kollegen unverzichtbar zu sein. So vermessen das jetzt klingen mag und so schlecht es sich anfühlt, das zu schreiben: Ist das nicht der Zustand, den wir insgeheim alle anstreben? Das Fazit war klar: Ein Wechsel wäre schön, aber komplett ohne Eile und daher unter den äußerst luxuriösen Rahmenbedingungen wirklich auf den „perfekten“ Job warten zu können.
Gesagt, getan. Und irgendwann stand er dann in Form einer Stellenausschreibung vor mir. So als hätte ich mir die Stelle selbst definiert; wird das Leben vielleicht doch noch zu einem Wunschkonzert? Da muss man doch sofort alles stehen und liegen lassen, ein schneidiges Anschreiben verfassen und die Bewerbungsunterlagen abschicken. Der Rückruf kam innerhalb von zwei Tagen, das persönliche Gespräch noch in der gleichen Woche. Großer Bahnhof unter vertrauter Atmosphäre bereits beim ersten Bewerbungsgespräch. Beim Finalen dann sowieso. Die doch recht hohen Anforderungen? Bei meinem Hintergrund überhaupt kein Grund zur Sorge! Gehaltswünsche? Gute Leute haben ihren Preis, da kommt man mir natürlich entgegen! Mittel- und langfristige Perspektive? Die Rolle ist entscheidend für die zukünftige Unternehmensstrategie, Sie verstehen! Ansonsten: Bei jedweden Fragen und Bedenken jederzeit melden, selbstverständlich auch abends, man kann über alles reden! Da war es also endlich, das wohlige Gefühl: „Die brauchen mich, genau mich.“ Der Wechsel war entschieden.
Hilfe, neuer Mitarbeiter
Dann endlich der erste Tag: Abholung an der Pforte, anschließend triumphaler Marsch ins neue Büro. Der Arbeitsplatz in güldenes Licht getaucht. Das ist sie also, die zukünftige Stätte meines Wirkens. Am Ende des Tages sind alle neuen Kollegen abgeklappert, der Rechner eingerichtet und alles Notwendige installiert. Morgen geht’s dann richtig los! Soweit zumindest die Erwartung. In der Realität passiert… nichts. Das Team steckt bis zum Hals in Projekten, die hinter Zeitplan liegen. Der Vorgesetzte ist überlastet und hat weitaus größere Sorgen als sich um individuelle Mitarbeiter zu kümmern. Die Projektleiter, denen ich zuarbeiten soll, hätten zusätzliche Manpower zwar alle bitter nötig, die Entscheidung, wo diese tatsächlich eingesetzt werden soll, wurde jedoch vertagt. Für die Diskussion war bislang nun mal leider einfach keine Zeit. Die diskutierten Aufgaben aus den Bewerbungsgesprächen? Runterpriorisiert und auf unbestimmte Zeit verschoben. Dann vielleicht erstmal irgendwo unterstützen? Dafür bräuchten die Kollegen erstmal überhaupt Kapazität, um Sachen zu dokumentieren und erklären. Außerdem hängt man schon irgendwie an seinen Aufgaben, will man da wirklich was an die „Neuen“ übergeben? Am Ende machen die noch was falsch oder – noch viel schlimmer – ernten die Lorbeeren für die bereits geleistete Vorarbeit!
Aber was macht man als neuer Kollegen denn dann den ganzen Tag? Na, sich „einarbeiten“ natürlich! Bis sich dann, irgendwann, versprochen, alles „etwas beruhigt hat“ und damit auch endlich die „richtigen“ Aufgaben kommen.
Mich hat dieser, nennen wir es „Arbeitsauftrag“, vor große Probleme gestellt. Natürlich habe ich die Stelle mit der Hoffnung angetreten, möglichst schnell in der neuen Rolle anzukommen und meinen neuen Arbeitgeber – der während der Bewerbungsphase ja den Eindruck erweckt hat, mich unbedingt für sich gewinnen zu wollen – auf die erhoffte Weise bestmöglich unterstützen zu können. Stattdessen wurde der ursprüngliche, motivierende Gedanke „Die brauchen mich!“ immer mehr durch ein nagendes „… aber für was, verdammt nochmal?“ überschattet. Aus der erwarteten Einstiegsphase, in der ich mich voller Freude und Neugier in meine neuen Themen hätte stürzen wollen, wurden quälend lange Tage und Wochen, in denen ich mich kreuz und quer durch Intranet, Ordnerstrukturen und sonstige Kommunikations- und Dokumentationslabyrinthe hangelte. Natürlich in der Hoffnung mir zufällig diejenigen Inhalte zu merken, die ich in meinen späteren Aufgaben, was auch immer sie sein und wann auch immer sie auch kommen mögen, einmal brauchen könnte, Großteils aber tatsächlich mit dem vorrangigen Zweck irgendwie den achtstündigen Arbeitstag durchzustehen. Währenddessen konnte ich Kollegen dabei zusehen, wie sie in ihrer Arbeit absaufen, diese aber trotzdem nicht abgeben wollten, oder in Teammeetings feststellen, dass das Dokument, was ich am Vortag unbedingt durcharbeiten sollte, schon heute wieder irrelevant geworden war. Vor allem aber wurde Tag um Tag, Woche um Woche die erhoffte Entscheidung über meine zukünftigen Aufgaben immer wieder aufs Neue verschoben. Immerhin gab es von allen Seiten breite Zustimmung, dass die Situation irgendwie „blöd“ ist. Zeit, daran etwas zu ändern, konnte sich trotzdem niemand nehmen.
Aber der soll doch Arbeit abnehmen!?
Mittlerweile bin ich ungefähr ein halbes Jahr im Unternehmen. Über die Zeit haben langsam die interessanten Themen ihren Weg zu mir gefunden. Ich kann von mir behaupten gut beschäftigt zu sein und Spaß an meinen Aufgaben zu haben, auch, wenn mein aktueller Job wenig mit dem zu tun hat, für das ich mich ursprünglich beworben habe. Bin ich mit dem Wechsel zufrieden? Nein. Und ich bin mir ziemlich sicher, das hängt weniger mit den aktuellen Aufgaben, sondern vor allem mit meiner Erfahrung in den ersten Wochen und Monaten zusammen. „Der erste Eindruck entscheidet“, behauptet der Volksmund und ich finde, das gilt auch für einen neuen Job. Wenn ich mein Onboarding nochmal Revue passieren lasse, muss ich zu dem Schluss kommen, dass sich mein Arbeitgeber im Vorfeld wohl keinerlei Gedanken darüber gemacht hat, was er mit mir eigentlich anfangen will, nachdem ich erstmal den Arbeitsvertrag unterschrieben habe. Natürlich wird völlig zu Recht Selbstständigkeit vom Arbeitnehmer erwartet, die selbstverständlich auch beinhaltet offene Aufgaben zu erkennen und zu priorisieren. Der Sinnhaftigkeit, Leute ohne jegliche Erklärung und grobe Richtung in riesige, seit Jahren laufende Projekte zu werfen, möchte ich jedoch stark widersprechen.
Kein Unternehmen geht freimütig mit Personalkosten um und wer schonmal versucht hat eine zusätzliche Stelle zu beantragen, kennt die teils endlosen Diskussionen in unzähligen Gremien, ob die Stelle denn wirklich sein muss. Aus Erzählungen weiß ich, dass auch die Stelle, auf der ich momentan sitze, aus einem akuten Bedarf heraus entstanden ist und viel Mühe in deren Beantragung und Besetzung geflossen ist. Ich bin mir sicher, selbst ein Bruchteil dieses Aufwands hätte gereicht, um zwei, drei kleine Arbeitspakete zu schnüren, die mir den Einstieg entschieden erleichtert hätten. Natürlich ist es weniger Aufwand, einfach nichts dergleichen zu tun, aber will man durch diese Entscheidung wirklich einen neuen Mitarbeiter dafür finanzieren, monatelang mehr oder weniger planlos im Trüben zu fischen? Vielleicht täusche ich mich aber und es gab einen detaillierten Plan für meine Stelle und irgendwann zwischen Vertragsunterzeichnung und Arbeitsbeginn haben sich einfach nur die Prioritäten der Abteilung bzw. des Unternehmens geändert. Auch in diesem Fall hätte ich mich einerseits über eine Information und andererseits über eine alternative, neue Perspektive gefreut. Auch eine konkrete, im Vertrag verankerte Rollenbeschreibung hätte geholfen ein genaueres, sprich realistischeres Bild zu geben, aber das wäre dann wohl erstens nicht mehr „agil“ genug, und zweitens lassen sich im Recruiting-Prozess nicht mehr so einfach Versprechungen machen. Wäre so viel Verbindlichkeit denn überhaupt noch zeitgemäß?
Alles in allem habe ich den Eindruck, die Bemühungen zu meinem Onboarding haben mit der Unterschrift des Vertrages und der Beantragung der Arbeitsmaterialien und des Mitarbeiterausweises geendet. Grundsätzlich wäre das Ziel damit auch erstmal erreicht: Der Mitarbeiter ist im Unternehmen und per Definition „arbeitsfähig“. Was danach kommt ergibt sich schon irgendwie. Gerade wenn aber so viel Energie für den Bewerbungsprozess aufgewendet wurde, ist der Fall für den Mitarbeiter, wenn er dann am Schreibtisch sitzt und einfach gar nichts passiert, umso tiefer und beschädigt so die Beziehung zum Arbeitgeber in einer frühen und fragilen Phase. Ein oder zwei Wochen Leerlauf sind für einen alten Hasen kein Problem, endlich mal ein bisschen Ruhe! Für jemanden, der gerade erst gewechselt ist und bei dem dadurch im Hinterkopf selbstverständlich noch die Frage herumspukt, ob das denn wirklich die richtige Entscheidung war und ob man ihn nun wirklich braucht oder nicht, ist eine solche Situation fatal. Daher, selbst wenn die kommenden Monate auch noch so schön werden sollten, muss ich mir also leider bereits heute wieder eingestehen: Ein Wechsel wäre schön.
Vielen Dank für den spannenden Beitrag! Falls ihr ebenfalls eure Erfahrungen mit dem Onboarding im Speziellen oder der New Work im Allgemeinen teilen wollt, freue ich mich über eure Kontaktaufnahme!
Bei dem oben stehenden Text handelt es sich um einen Gastbeitrag. Die Gestaltung des Artikels orientiert sich am Layout dieses Blogs und vorheriger Beiträge, Inhalt und Text entspringen jedoch der Erfahrung und Tastatur des genannten bzw. anonymen Autors.
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