Es ist Sommer, und die Tage sind noch lang und angenehm warm. Die Sonne scheint – doch die niedrigere Laufbahn und ihre goldenen Strahlen verraten, dass wir uns einer dunklen Jahreszeit nähern. Kalendarisch und meteorologisch steht der Herbst kurz bevor, doch sind es nicht die regnerischen, kalten Tage oder peinlichen Halloween-Kostüme, vor denen es mir graut. Nein, als viel nervenaufreibender empfinde ich vielmehr das letzte Quartal eines Kalenderjahres, das für die meisten Unternehmen zugleich das letztes Quartal eines Geschäftsjahres darstellt – und damit jene Monate, in denen wir Arbeitnehmer uns auf das jährliche Highlight unserer Berufs- und Persönlichkeitsentwicklung freuen dürfen: das Mitarbeitergespräch.

Bald stehen uns jene erkenntnisreichen Momente bevor, in denen sich Führungskräfte im ganzen Land  wertvolle 60 bis 90 Minuten ihrer Zeit nehmen, um in hastig vorbereiteten Gesprächen lückenhaft befüllte Bögen durchzuarbeiten, die als – mal digitales, oft jedoch noch physisches – Skript durch das vergangene Jahr, unsere Leistungen und Entwicklungspotentiale führen sollen. Der Erfolg dieses Gesprächs wird selbstverständlich durch eilig aufgesetzte Führungskräfteschulungen zum Thema Feedback sichergestellt. Wer einmal eine solche Schulung mitgemacht hat, weiß, dass sich die Inhalte Jahr für Jahr ähneln oder schlicht wiederholen  – es handelt sich hierbei um beharrlich aufgewärmte „Learning Nuggets“, die als kleiner „Refresher“ eine Führungskraft daran erinnern sollen, dass pauschale Attributionen, Generalisierungen und Vorwürfe nicht dem Goldstandard der modernen Gesprächsführung entsprechen.

Oh, wie ich mich auf diese Zeit freue. Die Zeit gut gemeinter Versuche und immer gleicher Erkenntnisse.

In meiner Personaler-Rolle habe ich oft genug das Konzept des Mitarbeitergesprächs und des zugrundeliegenden Performance Managements durchdacht, neue Perspektiven gesucht und alte Ansätze hinterfragt. Versucht, die Diskussion über den Erreichungsgrad „harter“, quantitativer Jahresziele auszulagern und den Blick auf die Entwicklung des Mitarbeiters zu lenken. Sogenannte „Development Plans“ eingeführt, das „Top Down“-Feedback durch „Bottom-up“ Fragen und die Möglichkeit zur Selbsteinschätzung ergänzt, um einen gleichberechtigteren Gesprächsrahmen zu ermöglichen, gar einen ehrlichen Austausch, denn in der New Work sollten Hierarchien ja keine allzu große Rolle mehr spielen. 360° ist das neue Schwarz, und „Instant Feedback“ der Heilige Gral der Unternehmenskultur und Mitarbeiterentwicklung. Ja, das Mitarbeitergespräch kann so viel – und leistet viel zu oft so wenig.

Grund für das Versagen sind nicht die Führungskräfte und auch nicht die Mitarbeiter – und zu Ehren meiner Zunft muss ich sagen: auch nicht der Personalbereich. Wir alle verfolgen hehre Ziele und wohlwollende Intentionen, wenn wir das Mitarbeitergespräch gestalten, vorbereiten und durchführen. Das Problem liegt meiner Ansicht vielmehr darin, dass wir zu viel wollen, dass wir die grundlegendsten Bedürfnisse aller Beteiligten dem Zwang zur Innovation, Agilität und Modernisierung unterordnen und unter den Teppich kehren wollen. Natürlich ist es erstrebenswert, dass die Mitarbeiterentwicklung einen entscheidenden Platz im Performance Management einnimmt, ebenso Erkenntnisse zur zeitgemäßen Motivation von Individuen, die in unserer komplexen Arbeitswelt primär intrinsisch und nicht mehr extrinsisch durch Kontrolle, Belohnung oder gar Bestrafung erfolgen sollte.

Doch wenn wir ehrlich sind, schwirren uns kurz vor diesem entscheidenden Gespräch mit unserer Führungskraft nur einige wenige, sehr grundlegende Fragen und Gedanken im Kopf herum:

„Ist mein*e Chef*in mit mir und meiner Arbeit zufrieden?“

„Habe ich in den letzten Monaten irgendwas falsch gemacht?“

„Sieht sie/er, dass ich unzählige Überstunden geleistet habe?“ (und wenn wir ehrlich sind, manchmal auch: „Und dass ich so viel mehr gemacht habe als meine Kollegen/innen!?“)

„Ob ich (endlich) befördert werde?“

„Wenn ich weniger als 100% Zielerreichung bekomme, dann kündige ich!“

Und nicht zuletzt: „Bekomme ich jetzt endlich meine Gehaltserhöhung?“

Vielleicht lehne ich mich zu weit aus dem Fenster mit dieser Verallgemeinerung oder oute mich als selbstbezogene, kognitiv und emotional simpel gestrickte Kreatur. Doch habe ich trotz meiner oben erwähnten Bemühungen für die Einführung entwicklungs- und werteorientierter, mitarbeiterzentrierter, mehrdimensionaler Feedbackgespräche oft genug erlebt, dass weder Führungskräfte noch Mitarbeiter diese gut gemeinten und anspruchsvollen Instrumente für ihr tatsächliches Gespräch nutzen. Stattdessen wurden die ausgeklügelten Gesprächsbögen, ob nun als Excel-, Word- oder dynamische PDF-Datei, meist nur halbherzig ausgefüllt zurückgeschickt, und das Feedback zum Feedback fiel oft genug ernüchternd aus: zu umständlich, komplex, künstlich oder meist: „Dazu sind wird gar nicht mehr gekommen.“

Weil es den meisten Menschen egal ist, ob sie nun auf einer 5er oder 7er Likert-Skala bewertet werden, ob es eine Tendenz zur Mitte gibt, ob auch jedes Kreuzchen gesetzt ist, jede Bottom-up Frage gestellt, mindestens drei Entwicklungsziele vermerkt und Antworten auf die großen universellen Menschheitsfragen gefunden wurden.

Wir wollen hören, ob wir gut waren, ob man zufrieden mit uns ist, wir möchten wissen, was unsere Leistung in Zahlen bedeutet, ob wir in unserer Karriere vorankommen und mit mehr Gehalt rechnen können. Vor allem wollen wir gesehen werden und Lob erhalten, damit wir ein weiteres Jahr des täglichen Wahnsinns und der unvorhersehbaren (agilen?) Herausforderungen des Berufslebens durchhalten und das Gefühl haben, dass sich unser Einsatz lohnt.

Und wenn demnächst die gutgemeinten Führungskräfteschulungen anstehen, in denen uns ganz „Und täglich grüßt das Murmeltier“-gemäß der Wert eines guten „Feedback-Sandwiches“ (Lob-Kritik-Lob… gähn) verkauft wird, sollten diese Kernpunkte und menschlichen Grundbedürfnisse nicht vergessen werden. Sobald alle Unklarheiten beseitigt und alle entscheidenden Fragen beantwortet sind, können wir sicherlich unseren Blick auf 360° erweitern und instantan unsere Peers um ihre Meinung zu uns bitten, oder aber minutiös unsere Entwicklungsziele und -schritte niederschreiben und besiegeln.

Bis es aber soweit ist, sollten wir noch die letzten Sommertage genießen und die Gedanken an die dunkle Jahreszeit verdrängen – bis der kühle Herbstwind aufkommt, die bunten Blätter der Bäume durch die Straßen und die (mal mehr, mal weniger) gefürchtete Einladung zum Mitarbeitergespräch in unsere Outlook-Postfächer weht.